Erfassung und Schutz der Wasservögel in Ostdeutschland
Kalbe, Lothar & Johannes Naacke (2012): Alles gezählt? Erfassung und Schutz der Wasservögel in Ostdeutschland. Rangsdorf (Natur + Text). 232 Seiten, zahlreiche schwarz-weiße Abbildungen und Fotos. Klappenbroschur, Klebebindung, 17,0 x 24,0 cm. ISBN 978-3-942062-04-6. 29,95 €.
Das Buch skizziert die Entwicklung des Monitorings und Schutzes der Wasservögel in der DDR und nennt deren Hauptakteure. Von den Anfängen der Wasservogelzählung in den ostdeutschen Bezirken seit den 1950er Jahren spannt sich der Bogen bis in die aktuelle Zeit (2008). Insbesondere die Anfangszeit war geprägt durch Provisorien. Z.B. wurden bis Mitte der 1960er Jahre noch die Zählbögen der Vogelwarte Helgoland (also des „kapitalistischen Klassenfeindes“) genutzt und die Daten auch teilweise von den Zählern direkt nach Wilhelmshaven gesendet. Die Zählergebnisse wurden lange in Papierform weitergereicht, Ende der 1970er Jahre wurde dann versucht, ein Lochkartensystem einzuführen, der realexistierende digitale Durchbruch erfolgte jedoch erst nach der Wende.
Neben den mehr oder weniger bezirksinternen Aktivitäten wurde in der DDR auch ein republikweites Wasservogelmonitoring aufgebaut. Dazu wurde die „Zentrale für die Wasservogelforschung der DDR“ (ZfW) an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam eingerichtet. Neben der ZfW wurde die „Zentrale Arbeitsgruppe Wasservögel“ (ZAG) als beratendes Organ der Obersten Naturschutzbehörde der DDR gegründet. Innerhalb der ZAG gab es weitere Arbeitsgruppen (z.B. „Gruppe Ökologie“, „AG Gänsevögel“). Wenige Jahre nach der Wende wurde die ZfW aus verschiedenen Gründen „abgewickelt“ und das Wasservogelmonitoring in die bestehenden BRD-Systeme des DDA eingegliedert.
Eng verknüpft ist die Wasservogelforschung in der DDR mit Erich Rutschke, dem langjährigen Leiter der ZfW (der ein oder andere Leser hat sicher eines seiner Bücher im Bücherschrank stehen: z.B. „Die Wildgänse Europas“ von 1987, „Die Wildenten Europas“ von 1989, „Die Wildschwäne Europas“ von 1992 oder „Wildgänse“ von 1997). Aber ebenso wichtig waren viele weitere, auch im Buch namentlich aufgeführte Personen und natürlich die meist ehrenamtlichen Zähler.
Neben den Wasser- und Küstenvogelzählungen wurden auch spezielle Erfassungen bestimmter Artengruppen durchgeführt (z.B. Gänse-, Limikolenzählungen), daneben erfolgte (zumindest jahrweise) auch die Erfassung der Brutbestände ausgewählter Arten. Und nicht zuletzt wurden auch (Farb-) Beringungen in größerem Umfang (insbesondere bei den Gänsen) durchgeführt.
Auch der Schutz der Wasservögel und ihrer Lebensräume wurde vorangetrieben. So trat die DDR Ende 1978 dem Anfang 1971 geschlossenen „Übereinkommen über Feuchtgebiete, insbesondere als Lebensraum für Wasser- und Watvögel, von internationaler Bedeutung“ (kurz: „Ramsar-Konvention“) bei (die BRD war 1976 beigetreten). Damit übernahm die DDR die Verpflichtung, ausgewiesene Gebiete von internationaler Bedeutung besonders zu schützen.
Die DDR-Wasservogelforscher und -schützer nahmen auch an vielen internationalen Tagungen teil. Dabei kam es unter den sozialistischen Bruderländern auch zu merkwürdigen Begebenheiten. So wollten die ungarischen Ausrichter der Tagung „Population Ecology of Geese“ 1981 in Ungarn von den Ostblock-Delegationen keine ungarische Währung annehmen, vielmehr sollte in Dollar oder ähnlich frei konvertierbarer „Westwährung“ gezahlt werden.
Immer wieder sind im Buch Ergebnisse der Wasservogelzählung in kleinen Häppchen eingestreut, hiervon hätte ich mir mehr gewünscht. Dieser Wunsch wird dann in den letzten Kapiteln des Buches erfüllt. Hier werden konkrete Beispiele von Veränderungen der Brutvogelbestände, Veränderungen des Zuggeschehens, ökologische Veränderungen sowie einwandernde Arten vorgestellt.
Illustriert wird das ganze durch viele Personen- und Gebietsfotos sowie zahlreiche weitere Abbildungen (Schriftwechsel, Tagungsankündigungen, Urkunden etc.). Schön wäre natürlich gewesen, wenn die Abbildungen farbig gedruckt worden wären, oder hatte da jemand den Farbfilm vergessen?
Fazit: Ein Buch, das nicht nur „Ossis“ lesen sollten, sondern auch „Wessis“, insbesondere, wenn sie sich für Wasservögel und die ostdeutsche Geschichte des Wasservogelmonitorings und -schutzes interessieren
Jens Hartmann