SCHMILLE, Kai (2011): Die hamburgischen Naturschutzgebiete. Bremen (Edition Temmen). 308 Seiten, zahlreiche farbige Fotos und Karten, 2 separate Faltkarten. Softcover, Fadenheftung, 20,0 x 20,0 cm. ISBN 978-3-8378-2015-7. 19,90 €.

 

 

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat aktuell 31 Naturschutzgebiete mit einer Gesamtfläche von 6.440 ha ausgewiesen, das entspricht etwa 8,6 % der 747 km2 Landesfläche von Hamburg. Das kleinste Naturschutzgebiet ist das NSG „Flottbektal“ (4 ha) im Bezirk Altona, das größte das NSG „Kirchwerder Wiesen“ (860 ha) im Bezirk Bergedorf.

 

Nach einer Einleitung zum Naturschutz in Hamburg werden alle 31 Naturschutzgebiete (NSG) sowie der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer vorgestellt. Weitere Kapitel stellen die Naturdenkmäler sowie potentielle neue Naturschutzgebiete vor. Zwei Seiten mit Erklärung einiger naturkundlichen und naturschutzfachlichen Begriffe sowie eine Adressübersicht über die derzeitigen Naturschutzverbände in Hamburg beschließen das Werk.

 

Die Einleitung “Naturschutz in Hamburg“ handelt vom Status und Problemen des Naturschutzes in Hamburg. Hier werden u.a. die unterschiedlichen Ansichten von z.B. Forstwirtschaft und den diversen Naturschutzverbänden (bei diesen auch untereinander) zum Naturschutz bzw. dessen Umsetzung aufgezeigt. Neben den NSG werden auch Landschaftsschutzgebiete einbezogen, stellen diese doch eine Ergänzung der NSG bzw. manchmal Vorstufe zum NSG dar.

 

Jedes Gebietskapitel beginnt mit Angaben zu Größe, Jahr der Unterschutzstellung und Lage des Gebietes. Anschließend folgen einige Unterkapitel.

 

Das Unterkapitel „Geschichte des Gebietes“ beschreibt die historische Landschaftsentwicklung, die zum heutigen Aussehen führte, sowie den Prozess der Unterschutzstellung.

 

Das Unterkapitel „Biotope und Arten, Konflikte, Pflege und Entwicklung“ erklärt seinen Inhalt selbst. Es ist meist das ausführlichste und beinhaltet die Rückschläge und Stagnationen, die der Naturschutz hinnehmen musste. Den Hickhack Ende der 1980er Jahre um den Bestand des Rotwildes im Duvenstedter Brook, der u.a. dazu führte, dass Anstaumaßnahmen und Wiedervernässungen gebietsweise eingestellt wurden, kennt der Autor dieser Zeilen noch persönlich aus seiner Zeit in der NJH (jetzt NAJU, die Jugendorganisation des NABU). Und die Teilzuschüttung des Mühlenberger Loches Anfang der 2000er Jahre für die DASA (heute Airbus) unter Billigung der EU wird ja keinem Vogelkundler im hamburgischen Raum entgangen (oder besser nahegegangen) sein.

 

Allerdings geht es mir inzwischen manchmal so, dass ich eigentlich gar nicht alle Probleme wissen möchte, die sich um bestimmte Naturschutzgebiete ranken. Der unbelastete Genuss der ja eigentlich trotzdem noch schönen Natur verliert sich zumindest bei mir dadurch gerne mal in politischen Grübeleien. Aber natürlich ist es richtig und wichtig, die Probleme zu nennen und damit öffentlich(er) zu machen.

 

Im Unterkapitel „Betreuung“ werden die betreuenden Verbände sowie die Öffnungs­zeiten der in einigen Gebieten vorhandenen Infohäuser aufgeführt. Bei vielen NSG stellt das Unterkapitel „Erweiterungen“ sinnvolle selbige des derzeit unter Schutz stehenden Gebietes vor. Das Unterkapitel „Vernetzung“ beschreibt die Einbindung des jeweiligen NSG in das System umgebender (Schutz-)Gebiete sowie fallweise wünschenswerte Erweiterungen.

 

Je eine Übersichtskarte des Gebietes sowie Gebiets- und Artenbilder illustrieren die Gebietskapitel, fünf Gebietskarten sind großformatig als separate Faltpläne beigefügt. Eine kleine Box am Ende der Gebietskapitel führt kurz die Erreichbarkeit des jeweiligen NSG mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf.

 

Die Gebietskapitel haben eine Länge von 4 (NSG Zollenspieker) bis 21 Seiten (Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer).

 

Leider enthält das Buch auch Fehler und Ungenauigkeiten. Bei der Auflistung insbesondere der bemerkenswerten Vogelarten der einzelnen Gebiete zeigt sich, dass offenbar „Fremddaten“ unterschiedlicher Herkunft ungeprüft herhalten mussten und nicht die persönlichen Erfahrungen des Buchautors. Die Auswahl der aufgelisteten Arten ist zumindest bei den Vogelarten (und nur bei diesen wage ich zu behaupten, genug davon zu verstehen) nicht nur fallweise merkwürdig, sondern in einigen Fällen leider auch schlichtweg falsch oder hoffnungslos veraltet. So wird für das NSG Die Reit der Zwergsäger irrtümlich als Brutvogel aufgeführt (die nächsten regelmäßigen Brutplätze liegen in Weißrussland, Finnland und Schweden). Die Trauerseeschwalbe hat laut Datenbank des AKVSW zuletzt 1973 an der dem NSG Die Reit benachbarten Gose-Elbe gebrütet (und tritt derzeit selbst als Durchzügler kaum noch auf). Im Eppendorfer Moor wurde die Bekassine zuletzt 1959 balzend festgestellt. Die Redewendung „Brutvogel in den letzten Jahren“ wird im Buch also arg gedehnt verwendet.

 

Die aufgeführten Vogelnamen entsprechen nicht unbedingt der aktuellen „Rechtsprechung“ nach Barthel & Helbig 2005 (z.B. Große Rohrdommel statt Rohrdommel) und Kreuzschnäbel gibt es in mehreren Arten. Auch wäre eine systematische (oder zumindest alphabetische) Sortierung der aufgelisteten Artnamen im Text wünschenswert gewesen.

 

Etwas unglücklich finde ich die unsystematische Nummerierung der POIs (Points of Interest) auf den Karten, die das Auffinden bestimmter Punkte nicht leicht macht. Eine sortierte Nummerierung wäre besser gewesen. Gewünscht hätte ich mir neben der vorhandenen Übersichtskarte auch eine tabellarische Übersicht über die NSG mit Größe, Ausweisungsjahr und Lage.

 

Fazit: Im Zeitalter des Internets mit seinen schier unerschöpflichen Möglichkeiten der tagesaktuellen Recherche stellt sich natürlich auch die Frage, ob es eines solchen Buches noch bedarf und es nicht sowieso rasch veraltet ist (beispielsweise läuft aktuell gerade das Verfahren zur Erweiterung des NSG Wohldorfer Wald). Aber es gibt ja genug Leute, die lieber ein handfestes Buch im Regal stehen haben, statt auf den Bildschirm zu starren. Und (nicht nur) für diese ist das Buch richtig: Eine (noch) aktuelle Übersicht der hamburgischen Naturschutzgebiete mit Hinweisen zu Geschichte, Problemen und Besonderheiten.

 

 

 

Jens HARTMANN