Maumary, Lionel, Laurent Vallotton & Peter Knaus (Nov. 2007): Die Vögel der Schweiz. – Schweizerische Vogelwarte, Sempach & „Nos Oiseaux“, Montmolin (deutsche Ausgabe: ISBN 978-3-9523006-2-6; zeitgleich gedruckte französischsprachige Ausgabe Les oiseaux de Suisse: ISBN 978-3-9523006-1-9). 848 Seiten, 2370 Farbfotos, 349 Verbreitungskarten, 174 Ringfundkarten, 322 Durchzugsdiagramme und 294 Grafiken zur Bestandentwicklung, Hardcover, Fadenheftung, 25 x 31 cm, fast 5 kg. 188 SFR *
*) Bezug: Für 188 SFR (ca. 112 € zzgl. Porto, zusätzlich in Deutschland evtl. Zoll!) bei der Schweizerischen Vogelwarte, CH-6204 Sempach (Weblink: www.vogelwarte.ch, Email: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!). Bezug aus Deutschland für 148 € zzgl. Porto z.B. bei „Christ Media Natur“ (Tel. 0571 8292294, Weblink: www.media-natur.de, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).
Noch nie hat mich ein Vogelbuch dermaßen uneingeschränkt begeistert. Denn diese fast 5 kg “schwer wiegende” neue Avifauna der Schweiz ist ein Werk der Superlative. Sowohl inhaltlich als auch von der Gestaltung und Ausstattung her (allein 3500 Abbildungen) wird hier die Messlatte, an der sich künftige Avifauna-Projekte werden orientieren ‚müssen’, dermaßen hoch gelegt, dass dieser „Weltrekord“ wohl viele Jahre oder gar Jahrzehnte nicht wiederholt oder gar übertroffen werden wird.
Auf 848 Seiten beschreibt das recht junge Autorenteam (Jahrgang 1968, 1969 und 1972) alle 419 Brutvögel, Durchzügler, Wintergäste und Ausnahmeerscheinungen (letztere bis zum Jahr 2006) der Schweiz, ergänzt im Anhang durch 99 als Gefangenschaftsflüchtlinge eingestufte Vogelarten sowie durch 17 Spezies, von denen die Meldungen nicht anerkannt werden. Sogar Fotos von 28 Hybriden aus der Schweiz werden im Anhang gezeigt, sowie ein Foto eines Wanderfalters (Taubenschwänzchen), welcher allzu oft als vermeintlicher Kolibri gemeldet wurde. Außer für die Seltenheiten werden für alle Arten ausführliche Verbreitungskarten (bis 2003) abgebildet, oft differenziert nach Jahreszeit und Häufigkeitsklassen. Umfassend werden bei allen 419 Arten seltnere Spezies auf jeweils ½ bis 2 Seiten, häufigere auf 2-3, maximal 4 Seiten vorgestellt. Dabei werden Vorkommen, Bestand, Wanderungen, Lebensraum, Verhalten, Nahrung, Fortpflanzung, Gefährdung sowie Schutz jeweils einheitlich und sehr klar gegliedert abgehandelt. Die Schrift ist zwar etwas klein und eng gedruckt, aber der Text ist hervorragend übersichtlich layoutet sowie stilistisch gut formuliert und flüssig lesbar.
Bis auf wenige Ausnahmeerscheinungen wird jede Art mit verblüffend vielen, fast ausschließlich farbigen und meist sehr instruktiven Fotos in hervorragender Druckqualität dargestellt, pro Vogelart oft bis zu ca. 15 Abbildungen, die pro Art oft eine Vielzahl verschiedener Kleider oder Verhaltensweisen zeigen. Allein schon wegen dieser einzigartigen Bildkollektion ist dieses Buch seinen Preis wert. Die insgesamt 2370 Fotos stammen bis auf extrem wenige Ausnahmen alle aus der Schweiz (von 225 Fotografen) und sind mit sehr informativen Bildlegenden versehen, welche vorbildlich ausführlich und präzise sind und fast immer neben Ort, Datum und Autor auch gute Hinweise auf wichtige Bestimmungsmerkmale oder zu bestimmten Kleidern enthalten. So bilden die Fotos und die guten Legenden oft Bestimmungshilfen, die sogar besser sind als in den gängigen Feldführern (z.B. bei Mittelmeer- und Steppenmöwe). Lediglich ganz wenige der vielen Ausnahmeerscheinungen konnten nicht durch abgedruckte Fotodokumente (d.h. Freiland-, Präparat- oder Balgaufnahmen) belegt werden; stattdessen zeigt dann eine gelungene Schwarzweiß-Zeichnung von Laurent Vallotton die Art in jenem Kleid, in welchem der Nachweis Anerkennung durch den Schweizer Seltenheiten-Ausschuss erhielt. Einzig etwas mehr Lebensraumfotos hätte sich der Rezensent gewünscht (einige hervorragende Habitatfotos finden sich u. a. im allgemeinen Teil, wie z.B. Vergleichsfotos zum Rückgang der Gletscher sowie zu anderen drastischen Landschafts-Veränderungen).
Die Grundlagen für das Buch lieferten die ehrenamtlichen Feldornithologinnen und Feldornithologen, die mit Beobachtungen, Brutvogelkartierungen, Wasservogelzählungen oder mit der Beringung während vieler Jahrzehnte wertvolle Daten zur Vogelwelt gesammelt haben. So liegen beispielsweise jenen hier erstmals veröffentlichten 174 Ringfund-Karten über 67.000 Datensätze zugrunde. Für die 349 Verbreitungskarten wurden sogar über 2,5 Millionen Meldungen ausgewertet, mehrheitlich aus den Datenbanken der Schweizer Vogelwarte. Auf einen Blick zeigen 322 Durchzugsdiagramme das jahreszeitliche Auftreten pro Art. Aktuelle Bestandstrends der letzten Jahrzehnte sowohl für Brutvögel, als auch für Durchzügler oder Wintergäste, veranschaulichen 294 weitere Grafiken (bis zum Jahr 2003, bei Wasservögeln bis 2004), welche bei Seltenheiten oft bis ca. 1900 zurückreichen. Auch zu den seltenen und unregelmäßigen Arten wurden ausführliche Informationen zusammengestellt, unter anderem für jede Art eine übersichtliche Liste aller Nachweise in der Schweiz sowie dem grenznahen Ausland (oft Bodensee), einschließlich aller Quellenangaben. Insgesamt 6540 Zeitschriftenartikel oder Bücher wurden ausgewertet und finden sich im Literaturverzeichnis.
Der Schwerpunkt der Artkapitel liegt auf den Verhältnissen in der Schweiz. Doch vor allem Vorkommen, Bestand und Wanderungen werden hervorragend in Zusammenhang zur aktuellen Gesamtverbreitung der Art gebracht, so dass diese Avifauna auch überregional sehr gut nutzbar ist. Für jede Art wird auch der französische, italienische, rätoromanische und englische Name genannt. Unfassbar, dass es den Autoren zudem gelungen ist diesen „Wälzer“ zeitgleich zur deutschsprachigen Version auch in Französisch zu veröffentlichen.
In der 59-seitigen Einleitung werden u. a. die Entwicklung der Schweizer Avifauna im 20. Jahrhundert und der Einfluss des Menschen auf die Vogelwelt dargestellt. Sehr eindrucksvoll werden hier in farbigen Karten einerseits der drastische Verbreitungsschwund (z.B. Fasan, Steinkauz, Wiedehopf, Rotkopfwürger, Grauammer), andererseits die zunehmende Ausbreitung mancher Arten (z.B. Rotmilan, Wanderfalke, Sperlingskauz, Orpheusspötter, Karmingimpel) direkt gegenüber gestellt.
Nach so viel berechtigtem Lob erübrigt sich ein Fazit. Die enorme Leistung der Autoren und die Spendierfreude der 15 Sponsoren, welche zu überzeugen ja allein schon eine Riesenarbeit bedeutete, sollten Sie belohnen, indem Sie dieses Buch kaufen. Es lohnt sich!
Jörg Wittenberg