WESTPHAL, Uwe & Renate NIMTZ-KÖSTER (1995): Das Mühlenberger Milliardenloch. Wie ein Flugzeug die Politik beherrscht. Edition Nautilus, Verlag Lutz Schulenburg, Hamburg, ISBN 3-89401-472-5. Paperback, 21 x 12 cm, 220 Seiten, 14,90 €

Sarkasmus ist keine Tugend, kann aber durchaus nützlich sein. Anders als dieses Buch, welches eher kämpferisch engagiert geschrieben ist, erlaubt sich der Rezensent die folgende Besprechung resigniert und ein wenig sarkastisch (und nicht kämpferisch) zu formulieren.

Wir alle kennen das Mühlenberger Loch (ehemals bekannt als Finkenwerder Elbbucht) und seine international anerkannte Bedeutung für Wasservögel. Jeder Hamburger ‚Birder’ war dort, um große Zahlen von Krickenten, Löffelenten und Brandgänsen zu sehen. Viele erinnern sich auch an die Rolle, die diese Bucht während und nach stürmischen Tagen spielte: als Endpunkt für so manchen vom Wind verschlagenen Hochseevogel. Ich werde sicher nie die Beobachtungen von Wellenläufern und Schwalbenmöwen hier vergessen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Hamburger Vogelkundler kennen die Bedeutung dieses Gebietes schon lange. Regelmäßige Beobachtungen in den 60er Jahren belegten bereits, dass große Schwärme von Enten (vor allem Tauchenten) das Gebiet nutzten. Eine Schar von DJN Beobachtern, sowie Stefan VIDAL und ich waren in den 80ern hier aktiv. Zu Beginn der 90er Jahre waren es dann Alexander MITSCHKE, Stefan GARTHE und Sven BAUMUNG, welche die Vogelrastgemeinschaften planmäßig untersuchten und die Ergebnisse in einem umfangreichen Gutachten zusammenstellten (siehe ‚hab’ 26, 1994).

Aber, auch wenn die zuvor verlorenen Worte gut der Beginn eines Abgesanges auf das ‚MüLo’ sein könnten, das hier zu rezensierende Buch ist nicht nur ein Nachruf auf das Mühlenbeger Loch, es befasst sich vielmehr mit den erstaunlichen politischen Vorgängen, die zum Bau einer Startbahn für das größte Flugzeug der Welt im größten Süßwasser-Wattgebiet Deutschlands führten.

Die Autoren des Buches, ein Biologe und Fachredakteur sowie eine ‚Spiegel’- Redakteurin, bieten eine gut lesbare, wenn auch erschütternde Chronologie der politischen Ereignisse, welche die Bucht von einem deklarierten „Besonderen Schutzgebiet“ (nach der EUVogelschutz- Richtlinie) in einen vermeintlichen Arbeitsplatzretter verwandelt haben. Wer nachvollziehen will, wie das möglich war, dem bietet dieses Buch eine Einsicht in ein kompliziertes und vernetztes politisches Reigenspiel. Aus diesem Grund ist dieses Buch relevant auch über den Norddeutschen Raum hinaus, zeigt es doch, wie mit dem magischen Wort „Arbeitsplätze“ in Zukunft europaweit die Natur und der Naturschutz an den Rand gedrängt werden können. Wer an solchen Fragen interessiert ist sowie jeder politisch interessierte Vogelbeobachter als „Naturnutzer“ sollte dies Buch einmal lesen. Selbst Politiker, die das Wirtschaftswachstum in den Vordergrund stellen, können einiges aus diesem Buch lernen (und auf falsche Gedanken kommen; aber die lesen hoffentlich diese Rezension nicht).

Habe ich damit das Ende verraten und damit den Krimi für alle verdorben? Nicht wirklich, denn selbst von hier, dem fernen Newark/New Jersey, kann ich ja jederzeit per Computer nachsehen, was aus dem ‚MüLo’ letztendlich wurde. Ein Klick in ‚Google Earth’ und ich kann die neue Landebahn sehen (dort, wo ich noch die Wattflächen kannte), ich sehe auch die neue Form der Finkenwerder Elbbucht, sogar die Flugzeuge sind einzeln erkennbar und somit zählbar. Lediglich die Enten und Brandgänse kann ich nicht erkennen und zählen.

Löffelenten und Brandgänse wird es auch weiterhin geben (sogar in den Resten des ‚MüLo’). Wir werden sie sehen können, ohne dass wir dafür ein Flugzeug, wie den neuen ‚A380’, besteigen müssen. Wie auch immer, die meisten von uns werden dies Flugzeug in Zukunft auf dem Weg nach „Irgendwo-weit-weg“ benutzen um exotische Vögel zu sehen. Sollte uns „Naturbenutzern“ dies ein wenig Süßwasserwatt wert sein?

 

Claus HOLZAPFEL, Newark – New Jersey